Was brachte uns eigentlich auf die Idee, auszuwandern? Und warum Schweden?
Begonnen hat alles im März 2020, als Franz als Solist die Johannespassion in Stockholm gesungen hat. Der dortige Kirchenmusikerkollege ist auch Deutscher und Franz kam mit ihm über Kirchenmusik in Schweden ins Gespräch.
Im Anschluss kam eine Zäsur – der erste Lockdown. Die Entwicklungen, die dann folgten, strudelten uns in eine immer größere werdende Frustration. Es gab schlicht kein anderes Thema mehr. Wir haben die Richtung, die unsere Gesellschaft von da an in den letzten zwei Jahren eingeschlagen hat, so wahrgenommen: Keine Diskussionskultur, Umkehr der Unschuldsvermutung, Distanz, großer Verlust von Gemeinschaft und Mitmenschlichkeit, Druck, Unverständnis, Spaltung bis hin zu Verachtung. All das haben auch wir am eigenen Leib oder in unmittelbarer Umgebung erlebt. Es gab nach unserem Empfinden nur schwarz und weiß, kein grau. Nur richtig oder falsch, nichts dazwischen. Darunter haben wir sehr gelitten und mit vielen Leuten darüber geredet. Auch mit Freunden und Bekannten, wie es denn in anderen Ländern ist, bzw. welchen Weg sie gewählt haben. Interessant daran war, dass die unglaublich starke Moralisierung der Debatte im Alltag der Menschen ausfiel und nicht so eine große Rolle spielte wie bei uns. Bei unseren bisherigen Besuchen in Schweden konnten wir uns selbst davon überzeugen. Bitte richtig verstehen: Auch hier geht es nicht darum, auf welcher „Seite“ man steht oder welche Meinung man zu dem Thema hat, sondern um den Umgang miteinander und mit unterschiedlichen Meinungen.
Das soll dazu genügen, zurück zu den weiteren Gründen. Nachdem die Hauptkirche geschlossen und die Orgel zuvor verkauft wurde, wollte Franz sich in die Chorarbeit stürzen, was jetzt über zwei Jahre nicht so wirklich ging. Der Neubau einer Orgel rückte auch immer weiter in die Zukunft. Diese unzufriedenstellende berufliche Situation hätte dringend eine positive Perspektive gebraucht, die aber trotz viel Engagement, Kreativität und steten Versuchen, etwas zu verändern, nicht eintrat. Deshalb stand zu Beginn der Elternzeit im November 2021 fest: Es muss sich etwas ändern.
Es gab auch positive Verstärker für die Entscheidung. Ich habe schon zwei Jahre in Brasilien gelebt und eine neue Sprache gelernt. Das war eine Erfahrung, die ich niemals missen möchte und noch heute vermisse ich das Land, die Menschen, die Mentalität, die Herausforderungen. Franz und ich sind auch viel zusammen gereist und haben immer gedacht und darüber geredet, dass es auch für uns gemeinsam eine schöne Erfahrung wäre, in einem anderen Land zu wohnen. Eine neue Sprache und Kultur kennenzulernen, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Die Kinder sind jetzt noch klein, da ist so ein Schritt noch einfacher. Und wenn es uns nicht gefällt, können wir ja jederzeit zurückkommen…
Und warum Schweden?
Weil wir so einen positiven Eindruck hatten, als wir dort waren, weil man als Kirchenmusiker dort im Hauptamt tätig sein kann, weil die schwedische Kirche spannend ist, weil das Land eine wunderbare Natur zu bieten hat, familienfreundlich ist und die Menschen entspannter wirken. Letztlich ist Schweden auch nicht „aus der Welt“, was für Besuche und den Kontakt zur Familie und zu Freunden wichtig ist.
Im Juli 2021 lernten wir über einen Freund eine Frau kennen, die im August mit ihrem Kind nach Schweden ausgewandert ist, mit der wir seitdem in regem Kontakt stehen. Erst haben wir sie in ihrer fast leeren Wohnung kennengelernt (die sehr stark unser jetzigen Situation gleicht) und dann im Januar nochmal in Schweden besucht. Mittlerweile ist ihre zweite Tochter auch nach Schweden nachgezogen und alle drei sind sehr glücklich. An dieser Stelle können wir ihr nur danken, weil sie uns mit Rat und Tat zur Seite steht und bei der ein oder anderen Vorbereitung sehr gute Tipps hat.
Unter den vorhin erwähnten vielen Gesprächen waren auch mehrere mit dem deutschen Kirchenmusiker aus Stockholm, der Franz bestärkte und ermutigte, es einfach zu versuchen. Sich einfach regulär auf Kirchenmusikerstellen zu bewerben, trotz der fehlenden Sprachkenntnisse, die er laut ihm schnell aufholen würde. Gesagt, getan – und so führte eins zum anderen.
Wir wollten in Heide eigentlich tiefe Wurzeln schlagen und nach unseren bisherigen Stationen eigentlich endlich „ankommen“. Wir lieben unser Zuhause, unser Haus. So sehr, dass es fast ein Grund war, doch nicht nach Schweden zu gehen.
Dazu gehört natürlich auch, dass unsere besten Freunde zu unseren Nachbarn geworden sind. Ein Jahr nach unserem Einzug in unser Haus zogen sie gegenüber ein. Wir haben sogar eine Pforte errichtet, die unsere Gärten verbindet. Die Kinder spielen zusammen im Garten, wir sind alle untereinander die Paten der anderen. Wir können über alles reden. Wenn es etwas gab, das uns fast abgehalten hätte, dann diese tolle Verbindung.
Wir wussten und wissen aber, dass so eine Freundschaft nicht an den Ort gebunden ist, sondern auch über die Distanz besteht. Aber natürlich macht es uns auch sehr traurig und wir wollen es noch nicht wahrhaben, dass wir bald nicht mehr über den Zaun winken können.

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